Verwertungsverbot 1

Verwertungsverbot bei unterlassener Anwaltsbenachrichtigung nach Belehrung

BGH, Urt. v. 12.1.1996 – 5 StR 756/94 (LG Hamburg)

StPO §§ 136, 137,163 a

  1. Verlangt der Beschuldigte nach der Belehrung, vor der Vernehmung mit einem Verteidiger zu sprechen, so ist die Vernehmung zu diesem Zweck sogleich zu unterbrechen.
  2. Will der Vernehmungsbeamte in seinem solchen Fall die Vernehmung fortsetzen, so ist dies ohne vorangegangene Verteidigerkonsultation nur zulässig, wenn sich der Beschuldigte nach erneutem Hinweis auf sein Recht auf Zuziehung eines Verteidigers mit der Fortsetzung der Vernehmung einverstanden erklärt. Dem müssen allerdings ernsthafte Bemühungen des Polizeibeamten vorausgegangen sein, dem Beschuldigten bei der Herstellung des Kontakts zu einem Verteidiger in effektiver Weise zu helfen. Dies alles ist deshalb geboten, weil der Beschuldigte insbesondere im Falle der vorläufigen Festnahme durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt und verängstigt ist.
  3. Unzulässig ist es, dem Beschuldigten die Bereitschaft zur Hilfe bei der Kontaktaufnahme zu einem Verteidiger durch bloße Scheinaktivitäten vorzuspiegeln und die von vornherein erwartete Erfolglosigkeit sowie die damit verbundene Entmutigung des Beschuldigten zu Fortsetzung des Vernehmungsversuchs auszunutzen. Die bloße Überlassung des Branchentelefonbuchs mit einer großen Zahl von Eintragungen von Rechtsanwälten wird in der Regel keine Hilfe sein. U. u. kann es geboten sein, dem Beschuldigten die Telefonnummer eines anwaltlichen Notdienstes mitzuteilen.
  4. Bei einem Verstoß gegen diese Grundsätze ist die Aussage des Beschuldigten unverwertbar, sofern der Verwertung der Vernehmung in der Hauptverhandlung rechtzeitig widersprochen wurde.

Aus den Gründen:

Die drei Angekl. haben übereinstimmend eine Verfahrensrüge erhoben, mit der geltend gemacht wird, der damalige Beschuldigte G. sei am Abend des 4.8.1993 polizeilich vernommen worden, obwohl er vor seiner Aussage von seinem Recht (§ 136 Abs. 1 S. 2, § 163 a Abs. 4 StPO) Gebrauch machen wollte, einen Verteidiger zu befragen. Diese Rüge deckt einen Verfahrensverstoß auf, der geeignet ist, ein Verwertungsverbot zu begründen. Der Verwertung der Vernehmung ist jedoch nicht rechtzeitig in der Hauptverhandlung vor dem SchwG widersprochen worden. Deshalb bleibt die Rüge erfolglos.

1. Der Senat hatte die für die Beurteilung der Verfahrensrüge maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse freibeweislich festzustellen. Er hat dabei das von den Revisionen mitgeteilte polizeiliche Protokoll vom 4.8.1993, den dieses Protokoll abschließenden polizeilichen Vermerk, die Urteilsgründe und den von der Revision mitgeteilten Beschluß des LG vom 29.6.1994 berücksichtigt. Mit dem zuletzt genannten Beschluß hatte das LG den auf Vernehmung des Polizeibeamten K. gerichteten Beweisantrag des Angekl. G. (fortan »Beweisantrag« genannt) dahin beschieden, daß die behaupteten Tatsachen bewiesen seien und daß als wahr unterstellt werde, »worum es K. bei der Vernehmung zu tun gewesen ist«. Der vom Senat zugrunde gelegte Sachverhalt stellt sich hiernach wie folgt dar:

    G. war vor seiner Vernehmung von den Polizeibeamten gern. § 163 a Abs. 4, § 136 Abs. 1 S. 2 StPO unter Mitwirkung des Dolmetschers Ga. ordnungsgemäß belehrt worden. G. hat darauf zunächst erklärt, er sei »in einigen Punkten« zur Aussage bereit, im Anschluß daran jedoch »sofort« zum Ausdruck gebracht, daß er wegen der Schwere des Vorwurfs einen »Rechtsbeistand« wünsche. Er konnte keinen RA benennen; der Dolmetscher lehnte die Benennung eines Verteidigers aus »berufsständischen Gründen« ab. Dem Beschuldigten wurde das Branchentelefon-buch, in dem die in Hamburg zugelassenen RAe verzeichnet sind, zur Verfügung gestellt. Davon machte er zunächst keinen Gebrauch. Später wurde der Name des RA R. genannt, von dem es hieß, er spreche italienisch; er konnte zu abendlicher Stunde – es war weit nach 19.00 Uhr; die Vernehmung endete um 20.30 Uhr nicht erreicht werden (Beweisantrag). Der Polizeibeamte K. war daran interessiert, die Vernehmung ohne vorangegangene anwaltliche Beratung des Beschuldigten durchzuführen; dies hielt er »im Sinne der Ermittlungen für die erfolgversprechendere Maßnahme«. Die Polizeibeamten leisteten dementsprechend »keine weitergehende Hilfe«. Sie unterrichteten den Beschuldigten insbes. nicht darüber, daß in Hamburg während der Abend- und Nachtstunden ein anwaltlicher Notdienst telefonisch erreichbar ist. Nachdem G. erklärt hatte, er sei bereit, »die entlastenden Dinge vorzutragen«, fand eine ausführliche Vernehmung statt, deren Niederschrift elf Seiten füllt. G. wurde eingehend zu den Gründen seiner Deutschlandreise und für den nächtlichen Antritt der Rückreise sowie dazu befragt, wie die drei Beschuldigten den Abend des 3.8.1993 und die anschließenden Nachtstunden verbracht hätten.

2. Die Revisionen machen unter Hinweis auf das Urteil des 4. Strafsenats vom 29.10.1992 (BGHST 38, 372) zutreffend geltend, daß die Vernehmungsbeamten den Angekl. G. am 4.8.1993 in unzulässiger Weise an der Durchsetzung seines Rechtes, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen (§ 137 Abs. 1 S. 1 i. V m. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO), gehindert haben.

a) Zwar liegen im vorliegenden Fall Verhältnisse vor, die nicht vollständig dem in BGHST 38, 372 behandelten Sachverhalt entsprechen: Während in dem vom 4. Strafsenat entschiedenen Fall die Kontaktaufnahme des Beschuldigten zu einem ihm bekannten Verteidiger verweigert wurde, wußte G. im Zeitpunkt seiner Vernehmung noch nicht, an wen er sich mit der Bitte um »Rechtsbeistand« wenden sollte. Gleichwohl gelten auch hier die in BGHST 38, 372 genannte Grundsätze. Der Beschuldigte G. hatte seinen Wunsch nach anwaltlichem Beistand bei Beginn der polizeilichen Vernehmung »sofort« zum Ausdruck gebracht. Verlangt der Beschuldigte nach der Belehrung, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu sprechen, so ist die Vernehmung deshalb zu diesem Zweck sogleich zu unterbrechen (BGHST 38, 372, 373).

b) Will der Polizeibeamte in einem solchen Fall die Vernehmung fortsetzen, so ist dies ohne vorangegangene Konsultation eines Verteidigers nur zulässig, wenn sich der Beschuldigte ausdrücklich nach erneutem Hinweis auf sein Recht auf Zuziehung eines Verteidigers mit der Fortsetzung der Vernehmung einverstanden erklärt. Dem müssen allerdings ernsthafte Bemühungen des Polizeibeamten vorausgegangen sein, dem Beschuldigten bei der Herstellung des Kontakts zu einem Verteidiger in effektiver Weise zu helfen. All dies ist geboten, weil der Beschuldigte vielfach, insbes. im Falle einer Festnahme, durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt und verängstigt ist (BGHST 38, 214, 222).
Es empfiehlt sich, die in diesem Zusammenhang erforderlichen Vorgänge und Erklärungen zu dokumentieren, damit Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Vernehmung des Beschuldigten ohne Mitwirkung eines Verteidigers nicht entstehen können (vgl. BGHST 38, 214, 224).

c) An den erforderlichen Bemühungen hat es hier gefehlt. Allerdings wird die Polizei in aller Regel davon absehen, einen bestimmten Verteidiger zu empfehlen, schon um den Eindruck eines engen Zusammenwirkens mit bestimmten Verteidigern zu vermeiden. Unzulässig ist es, dem Beschuldigten die Bereitschaft zur Hilfe bei der Kontaktaufnahme durch bloße »Scheinaktivität« vorzuspiegeln und die von vornherein erwartete Erfolglosigkeit sowie die damit verbundene Entmutigung des Beschuldigten zur Fortsetzung des Vernehmungsversuchs auszunutzen. Die bloße Überlassung des Branchentelefonbuchs von Hamburg, in dem sich unter dem Stichwort »Rechtsanwaltbüros« eine sehr große Zahl von Eintragungen findet, war keine Hilfe, sondern angesichts der Umstände eher geeignet, den der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten G. von der Unmöglichkeit einer alsbaldigen Kontaktaufnahme zu überzeugen. Von der Mitteilung der Telefonnummer des anwaltlichen Notdienstes, die eine wirksame Hilfe hätte sein können, haben die Polizeibeamten abgesehen.
d) Der Umstand, daß es dem Beschuldigten aufgrund der zu Beginn der Vernehmung ordnungsgemäß gern. § 136 Abs. 1 S. 1, § 163 a Abs. 4 StPO erteilten Belehrung bekannt war, daß er einer Befragung durch Verweigerung der Antwort ausweichen konnte, gewährleistet nicht die Freiwilligkeit des Verzichts auf das einmal in Anspruch genommene Recht, zunächst einen Verteidiger zu befragen. Nicht die Unkenntnis des Beschuldigten von seinen Rechten, sondern Mängel der Rechtsdurchsetzung begründen hier den Verfahrensverstoß (vgl. BGHST 38, 372, 375 sowie Ransiek StV 1994, 343 Roxin JZ 1993, 426 f.).

Der Umstand , daß die Vernehmungsbeamten nicht unter Verstoß gegen § 136 a StPO durch Täuschung oder Zwang auf eine Vernehmungsbereitschaft hingewirkt haben, reicht für sich allein nicht aus, um einen wirksamen Verzicht auf das zunächst in Anspruch genommene Recht der Anwaltskonsultation zu begründen. Sollte der Hinweis des 3. Strafsenates auf § 136 a StPO in BGH NJW 1993, 2903, 2903 f. in diesem Sinne gemeint sein, so könnte der Senat dem jedenfalls für den vorliegenden, in tatsächlicher Hinsicht andersartigen Fall nicht folgen. Das Recht des Beschuldigten, sich im Strafverfahren von einem gewählten Anwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, gehört zu dem in Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip gewährleisteten Anspruch auf ein faires Verfahren (BVerfGE 38, 105, 111; 39, 156, 163; 66, 313, 318; vgl. auch Art. 6Abs. 3 Buchst. c EMRK). Dieses Recht reicht weiter als das in § 136 a StPO geschätzte Recht auf Freiheit von Beeinträchtigungen der Willensentschließung und Willensbestätigung.

3. Das Vorgehen der Vernehmungsbeamten war geeignet, ein Verwertungsverbot für die polizeiliche Aussage des Angeklagten G. vom 4.8.1993 zu begründen. Wie der BGH bereits ausgeführt hat (BGHST 38, 372, 373 f.), zieht nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot aufgrund einer Abwägung der namentlich im Rechtsstaatprinzip angelegten gegenläufigen verfassungsrechtlichen Gebote und Ziele (dazu BGHST 38, 214, 219 ff .) zu treffen. Ein Verwertungsverbot liegt nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten zu sichern. Die Möglichkeit, sich des Beistands eines Verteidigers zu bedienen, gehört zu den wichtigsten Rechten des Beschuldigten (BGHST 38, 372, 374). Deswegen ist ein Verwertungsverbot angenommen worden, wenn der Verteidiger vom Termin einer Vernehmung des Beschuldigten nicht benachrichtigt worden war (BGHR StPO § 168 c Abs. 5 Satz 1 Verletzung 3); dies gilt erst recht, wenn dem Beschuldigten die Kontaktaufnahme mit seinem Verteidiger verwehrt worden ist (BGHST 38, 372, 374). Zwar war die Beeinträchtigung des Rechts, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, in dem vom 4. Strafsenat (BGHST 38, 372) entschiedenen Fall besonders schwerwiegend. Indessen erscheint es nicht möglich, bei der Verletzung des Rechts auf den Zugang zum Verteidiger nach den Umständen und dem Inhalt der Aussage zwischen Fällen verschiedenen Gewichtes zu unterscheiden. Das verbieten Gründe der Rechtssicherheit ebenso wie der Gesichtspunkt, daß angesichts des hohen Ranges der Verteidigung für ein faires Verfahren die verfahrensrechtliche Stellung des Beschuldigten immer schon dann beeinträchtigt ist, wenn sein Wunsch, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, wirksam unterlaufen wird.
4. Die Berufung des Angekl. G. auf ein Verwertungsverbot versagt indessen, weil der Bf. der Verwertung seiner polizeilichen Angaben vom 4. 8. 1993 in der Hauptverhandlung vor dem SchwG nicht oder nicht rechtzeitig widersprochen hat. Unter diesen Voraussetzungen ist ein Verwertungsverbot nicht entstanden. Insoweit entspricht die Sachlage den Fällen, die den Entscheidungen BGHST 38, 214 und BGHST 39, 349 [ = StV 1994, 4] zugrunde liegen und die ebenfalls die Verwertbarkeit von Beschuldigtenvernehmungen zum Gegenstand haben (siehe BGHST 38, 214, 225).

a) Der Senat hat in BGHST 38, 214, 225 f. ausgesprochen, daß der Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO kein Verwertungsverbot auslöst, wenn der verteidigte Angekl. einer Verwertung der Aussage des Beschuldigten bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt nicht widersprochen hat. Der Senat hält hieran auch unter Berücksichtigung der erhobenen Einwände (Fezer JR 1992, 385, vgl. auch Widmaier NSTZ 1992, 519) fest und stellt dasselbe Erfordernis auch in Fällen auf, in denen nicht Mängel der Belehrung i. S. d. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO beanstandet werden, sondern, wie hier, gerügt wird, daß die Durchsetzung des in § 136 Abs. 1 S. 2 StPO vorausgesetzten Rechts, sich in jeder Lage des Verfahrens (§ 137 Abs. 1 S. 1 StPO), also auch vor der polizeilichen Vernehmung des Beistandes eines Verteidigers zu bedienen, behindert worden ist. Sowohl bei dieser Rüge als auch bei der Beanstandung, daß die Polizei den Beschuldigten nicht nach § 136 Abs. 1 S. 2, § 163 a Abs. 4 StPO belehrt habe, geht es in gleicher Weise um die Verwirklichung der in § 136 Abs. 1 S. 2 StPO vorausgesetzten Rechte. Beide Rechte sichern die Rechtsstellung des Beschuldigten in ähnlicher Weise. Auch wenn es im vorliegenden Zusammenhang, anders als in dem in BGHST 38, 214 entschiedenen Fall, nicht um die Unterrichtung des Beschuldigten über seine Rechte, sondern um die Durchsetzung eines dieser Rechte geht, so ist der innere Zusammenhang der in Betracht kommenden Rügen doch eindeutig: Die Befragung eines Verteidigers soll den Beschuldigten in die Lage versetzen, die ihm zustehende Entscheidung, ob er aussagen will oder nicht, sachgemäß zu treffen.

Die Rechtsansicht des Senates, daß sich der Revisionsführer in den Fällen mangelhafter Belehrung des Beschuldigten nur nach vorangegangener rechtzeitiger Beanstandung in der Hauptverhandlung vor dem Tatrichter auf das Verwertungsverbot berufen kann (BGHST 38, 214, 225 f.), ist inzwischen in BGHST 39, 349, 352 vom 1. Strafsenat bestätigt worden. Zwar weisen die Bf. zutreffend darauf hin, daß sich in dem Urteil des 4. Strafsenats vom 29.10.1992 (BGHST 38, 372) keine Ausführungen über die Notwendigkeit finden, der Verwertung einer unter Verletzung des Rechts auf Verteidigerkonsultation zustande gekommenen Aussage in der Hauptverhandlung vor dem Tatrichter zu widersprechen. Indessen bedurfte es in dem vom 4. Strafsenat entschiedenen Fall hierzu keiner Ausführungen, weil – wie der Senat im Freibeweisverfahren nach Erörterung in der Revisionshauptverhandlung festgestellt hat (unrichtig gesehen noch im Anfragebeschluß des Senats vom 22. 3. 1995 – 5 StR 680/94 -, StV 1995, 283, 286) – der Verteidiger der Verwertung widersprochen hatte. In ähnlichem Zusammenhang, nämlich beim Verstoß gegen die Pflicht, den Beschuldigten nach § 168 Abs. 5 StPO zu benachrichtigen, hat der BGH schon früher einen Widerspruch in der Hauptverhandlung vorausgesetzt (BGHST 31, 140, 145; BGH bei Pfeiffer/Miebach NSTZ 1986, 207).
Der Senat hält auch an dem durch § 257 StPO bestimmten Zeitpunkt fest, zu dem der Widerspruch vor dem Tatrichter spätestens erklärt werden muß. Er dient der gebotenen Verfahrensförderung, ohne dem verteidigten Angekl. unzumutbare Anforderungen aufzuerlegen. Eine untunliche Festlegung des Angekl. tritt insofern nicht ein, als dieser seinen Widerspruch bis zum Ende der Beweisaufnahme zurücknehmen und dadurch die Verwertung seiner Aussage freigeben kann.
Unter den gegebenen Umständen hält der Senat es für rechtlich unbedenklich, an das Erfordernis eines rechtzeitigen Widerspruchs auch in dem vorliegenden Fall anzuknüpfen. Hier liegt ein Fall vor, in dem der Senat Verwertungsverbote in Fortführung seiner Entscheidung in BGHST 38, 214 erweitert. Zur Zeit der Verhandlung vor dem Tatrichter waren diese Entscheidung und die ihr folgende Entscheidung des 1. Strafsenats in BGHST 39, 349 mit der dort ausgesprochenen Voraussetzung eines Widerspruchs für ein Verwertungsverbot bekannt.
Die dort gegebene Fallgestaltung der Pflicht zur Belehrung bei Vernehmungen ist der hier angenommen Pflicht zur Umsetzung der aus der Belehrung fließenden Rechte (Verteidigerkonsultation) derart ähnlich, daß sich die Notwendigkeit des Widerspruchs aufdrängt. Die vom Senat in seinem Vorlagebeschluß vom 20.12.1995 – 5 StR 680/94 – vorgesehene Übergangslösung betrifft eine vernehmungsähnliche Situation; diese ist mit den hier vorliegenden Fallgestaltungen einer förmlichen Vernehmung nur bedingt vergleichbar.

b) Im vorliegenden Fall hat der Angekl. G. der Verwertung seiner polizeilichen Aussage nicht rechtzeitig widersprochen. Da diese Aussage am ersten Verhandlungstag unter Verstoß gegen § 254 Abs. 1 StPO in die Verhandlung eingeführt worden ist, kann es für die Rechtzeitigkeit des Widerspruches nicht auf diesen Tag ankommen. Maßgebend ist vielmehr die Verhandlung vor dem SchwG am 15. 6. 1993; an diesem Tag ist der Vernehmungsbeamte R als Zeuge vernommen worden. Im Anschluß an seine Vernehmung ist der Verwertung seiner Aussage nicht widersprochen worden. Ob der Beweisantrag auf Vernehmung des Vernehmungsbeamten K., den der RA R. für den Angekl. G. gestellt hat, als Widerspruch gegen die Verwertung der polizeilichen Aussage des Angekl. G. verstanden werden kann, braucht der Senat nicht zu entscheiden; denn dieser Beweisantrag ist nicht im Anschluß an die Vernehmung des Zeugen P. (§ 257 Abs. 1 StPO) gestellt worden, sondern erst in der übernächsten Sitzung.

5. Auch die anderen beiden Bf. können sich auf ein Verwertungsverbot nicht berufen. Sie haben – sofern es darauf überhaupt ankommen sollte – ebenfalls keinen Widerspruch erhoben. Der Widerspruch des Verteidigers des Angekl. S. vor der Verlesung der Niederschriften über die richterlichen und polizeilichen Vernehmungen war gegen die Anwendung des § 254 StPO gerichtet. Wie der Antrag und der darauf ergangene Gerichtsbeschluß ergeben, hatte der Widerspruch die hier erörterte Problematik nicht zum Gegenstand.
Der Senat hat, da die Revision an dem Fehlen eines Widerspruchs in der Hauptverhandlung scheitert, keinen Anlaß, die Frage zu erörtern, ob sich bei einer Verfahrensrüge der vorliegenden Art der Revisionsführer darauf berufen kann, daß nicht ihm selbst,- sondern einem Mitangekl. der in § 136 Abs. 1 S. 2 StPO vorausgesetzte Zugang zum Verteidiger behindert worden sei (vgl. nur BGHR StPO § 136 Belehrung 5, dazu Dencker StV 1995, 232).

(Die Entscheidung ist veröffentlicht in Strafverteidiger 1996, S. 187 = StraFo 1996, 81 ff.)