Untersuchungshaft und Akteneinsicht

Gewährung von Akteneinsicht und rechtlichem Gehör vor richterlichen Entscheidungen über die Untersuchungshaft

BVerfG, Beschl. v. 11. 7.1994 – 2 BvR 777/94

GG Art. 2 Abs. 2, 20 Abs. 3,103; StPO §§ 147 Abs. 1 u. 2, 114, 114 a, 115

  1. Aus dem Recht des Beschuldigten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und seinem Ansprach auf rechtliches Gehör folgt ein Anspruch des inhaftierten Beschuldigten auf Einsicht seines Verteidigers in die Akten, wenn und soweit er die sich darin befindlichen Informationen benötigt, um auf eine bevorstehende gerichtlichen Haftentscheidung effektiv einwirken zu können und eine mündliche Mitteilung der Tatsachen und Beweismittel, die das Gericht seiner Entscheidung zugrundezulegen gedenkt, nicht ausreichend ist.
  2. Ist aus Gründen der Gefährdung der Ermittlungen aus der Sicht der Staatsanwaltschaft eine auch nur auf die für die Haftfrage relevanten Teile der Ermittlungsakte beschränkte Akteneinsicht nicht möglich und verweigert sie diese gem. § 147Abs. 2 StPO, so kann das Gericht auf die Tatsachen und Beweismittel, die deshalb nicht zur Kenntnis des Beschuldigten gelangen, seine Entscheidung nicht stützen und muß gegebenenfalls den Haftbefehl aufheben.
  3. Im übrigen ist dem Beschuldigten bereits anläßlich seiner richterlichen Vernehmung gem. § 115 Abs. 2 StPO im Anschluß an seine Festnahme mündlich das gesamte gegen ihn zusammengetragene Belastungsmaterial, das den Gegenstand des Verfahrens bildet und für die Haftfrage von Bedeutung ist, mitzuteilen. Dazu zählen die Tatsachen, Beweisanzeichen usw., die den dringenden Tatverdacht und den Haftgrund ergeben, aber auch die sich aus den Akten ergebenden entlastenden Umstände.

Aus den Gründen:

    Der Bf. befindet sich in Untersuchungshaft. Er soll beim Betrieb mehrerer Scheinfirmen Waren von verschiedenen Lieferanten erworben und weiterverkauft haben, ohne diese zu bezahlen, weshalb ihm gemeinschaftlicher Betrug angelastet wird. Der Tatverdacht wird im Haftbefehl, der den Tatvorwurf präzise umschreibt, auf die Aussagen dreier namentlich genannter – Zeugen, die Angaben von – ebenfalls aufgeführten – fünf Mitbesch. sowie die »polizeilichen Ermittlungen« gestützt. Der Verteidiger des Bf. bat am 7.2.1994 bei der StA und – unter Hinweis auf den beantragten Haftprüfungstermin v. 16.2.1994 – beim AG um Akteneinsicht. Er bezog sich dabei auch auf eine Entscheidung des EGMR, wonach Art. 5 Abs. 4 der EMRK vor Haftprüfungsentscheidungen Akteneinsicht gewährleistet. Bei Versagen der Akteneinsicht werde er Aufhebung des Haftbefehls beantragen.

Ohne daß dem Verteidiger des Bf. Akteneinsicht gewährt worden wäre, lehnte das AG mit Beschl. v. 16. 2. 1994 den Antrag des Bf. auf Aufhebung des Haftbefehls ab. Die Untersuchungshaft verstoße auch nicht gegen Art. 5 der EMRK. Nach der StPO sei die StA im Ermittlungsverfahren zur Entscheidung darüber befugt, ob Akteneinsicht gewährt werde oder nicht. Wenn die StA, wie im vorliegenden Fall, unter pflichtgemäßer Anwendung des § 147 StPO die Akteneinsicht versage, sei darin kein Verstoß gegen elementare Grundsätze des Prozeßrechts zu sehen, der es erforderlich mache, den Haftbefehl aufzuheben. (. . .)

Die Beschwerde gegen diesen Beschluß verwarf das LG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung, denen sich die Kammer nach eigener Prüfung angeschlossen habe. Die unter Bezug auf den Vortrag im Haftprüfungs- und Haftbeschwerdeverfahren begründete weitere Beschwerde wurde vom OLG Braunschweig mit Beschl. v. 29. 3.1994 zurückgewiesen. Mit der Frage eines Akteneinsichtsrechts setzt sich das Gericht nicht auseinander.

Ein ebenfalls beim OLG Braunschweig gestellter Antrag gemäß §§ 23 ff. EGGVG gegen die Versagung der Akteneinsicht durch die StA wurde mit Beschl. v. 18. 3. 1994 als unzulässig zurückgewiesen. Bei der Entscheidung der StA handele es sich nicht um einen mit § 23 EGGVG angreifbaren Justizverwaltungsakt.

  1. . . .
      Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, soweit dies zur Durchsetzung der Rechte des Bf. angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

        Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschl. des OLG Braunschweig v. 18.3.1994 richtet, war sie allerdings nicht zur Entscheidung anzunehmen. Der Entscheidung kommt insoweit weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG); sie ist offensichtlich unbegründet. Die Auslegung des § 23 EGGVG durch das OLG entspricht verbreiteter Meinung. Sie ist vertretbar und verstößt ersichtlich nicht gegen das allgemeine Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Auch ein Verstoß gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs.4 GG ergibt sich daraus nicht. Diese Vorschrift gewährleistet einen möglichst wirksamen gerichtlichen Schutz gegenüber Verletzungen der Rechtssphäre des Einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 51, 176 [185]). Das bedeutet aber nicht stets sofortigen Rechtsschutz, sondern nur Rechtsschutz »innerhalb angemessener Zeit« (vgl. BVerfGE 55, 349 [369]). Diesen Maßstäben läuft es nicht zuwider, wenn das Verfahrensrecht in seiner Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte Rechtsschutz gegen die Versagung der Akteneinsicht durch die StA noch während des Ermittlungsverfahrens nicht zur Verfügung stellt. Dem Rechtsschutzbegehren des Betroffenen kann dadurch lediglich vorübergehend, nämlich bis zum endgültigen Abschluß des Ermittlungsverfahrens, nicht entsprochen werden. Dieses Zuwarten ist ihm indessen im Blick auf die Erfordernisse einer wirksamen funktionstüchtigen Strafrechtspflege (vgl. BVerfGE 46, 214, 222 f.) in aller Regel zuzumuten.

Die Anordnung der Untersuchungshaft gegen den Bf. ändert an dieser Beurteilung grundsätzlich nichts. Auf die Verwirklichung des Verfassungsgebotes des Art. 103 Abs. 1 GG, das auch im Verfahren der Anordnung der Untersuchungshaft Geltung beansprucht, wirkt das Gesetz durch die besonderen Vorschriften der §§ 115 Abs. 1 bis 3, 115 a StPO hin. Verlangt ist eine hinreichend substantiierte Bekanntgabe des Vorwurfs der gegen den Besch. sprechenden Gründe. Es muß dem Besch. ermöglicht werden, die Tatsachen geltend zu machen, die zu seinen Gunsten sprechen (§ 115 Abs. 3 Satz 2 StPO), um die Verdachts- und Haftgründe zu entkräften. Damit ist auch den Erfordernissen eines rechtsstaatlichen fairen Verfahrens (Art. 2Abs. 1 i.V.m. 20 Abs. 3 GG) genügt. Im übrigen hat der Bf. die Möglichkeit, die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen der Haftbeschwerde oder der mündlichen Haftprüfung und der Begründung anzugreifen, der Haftbefehl sei unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zustande gekommen oder werde unter Verstoß gegen dieses Grundrecht aufrechterhalten. Die Eröffnung eines zusätzlichen Rechtswegs über § 23 EGGVG ist daher verfassungsrechtlich nicht geboten (vgl. BVerfG StV1994, S. 1).

    Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des OLG Braunschweig v. 29.3. 1994 wendet, ist sie zulässig und offensichtlich begründet (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Der Beschluß verletzt den Bf. in seinem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.

      Art. 103 Abs. 1 GG garantiert dem Besch. grundsätzlich rechtliches Gehör vor jeder gerichtlichen Entscheidung. Nach st. Rspr. des BVerfG verlangt das Recht auf Gehör, daß einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrundegelegt werden, zu denen Stellung zu nehmen den Beteiligten Gelegenheit gegeben war (etwa BVerfGE 18, 399 [4041). Dies gilt grundsätzlich auch für richterliche Entscheidungen im Ermittlungsverfahren. Nur wo die Sicherung gefährdeter Interessen eine vorherige Anhörung verbietet, um den Besch. nicht zu warnen, kann ausnahmsweise davon abgesehen werden (vgl. BVerfGE 9, 89 [98])

Deshalb beansprucht Art. 103 Abs. 1 GG auch Geltung bei Entscheidungen über Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft. Das heißt, daß der Haftbefehl und die ihn bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen im Haftprüfungs- und Haftbeschwerdeverfahren nur auf solche Tatsachen und Beweismittel gestützt werden dürfen, die dem Besch. vorher bekannt waren und zu denen er sich äußern konnte. Dies wiederum setzt voraus, daß der Besch. bei der Haftbefehlseröffnung und vor einer weiteren Haftentscheidung substantiiert über den gegen ihn erhobenen Vorwurf, die Beweislage und die Haftgründe in Kenntnis gesetzt wird. b) Art. 103 Abs. 1 GG geht davon aus, daß die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben muß (BVerfGE 9, 89 [95f.]; 18, 399 [405]). Im Bereich der Anordnung der Untersuchungshaft wirkt das Gesetz durch besondere Vorschriften auf die Verwirklichung des Verfassungsgebots des Art. 103 Abs. 1 GG hin. Wird der Besch. festgenommen, so ist ihm gemäß § 114 a StPO der Haftbefehl bekanntzumachen, der gemäß § 114Abs. 2 StPO die Tat, deren er verdächtigt ist, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften, den Haftgrund und die Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht und der Haftgrund ergeben, enthalten muß. Außerdem muß er unverzüglich vom zuständigen Richter über den Gegenstand der Beschuldigung vernommen werden (§ 115 Abs. 2 StPO), wobei er auf die ihn belastenden Umstände hinzuweisen ist und ihm Gelegenheit gegeben werden muß, die Verdachts- und Haftgründe zu entkräften und die Tatsachen geltend zu machen, die zu seinen Gunsten sprechen (§§ 115 Abs. 3, 115a StPO). In diesem Zusammenhang ist dem Besch. das gesamte gegen ihn zusammengetragene Belastungsmaterial, das den Gegenstand des Verfahrens bildet und für die Haftfrage bedeutsam ist, mitzuteilen. Er muß über die Tatsachen, Beweisanzeichen usw., die den dringenden Tatverdacht und den Haftgrund ergeben, ins Bild gesetzt werden. Auch die sich aus den Akten ergebenden entlastenden Umstände müssen ihm bekanntgemacht werden (vgl. Boujong in KK, 2. A., 1987 zu § 115 Rdnr. 9). Im übrigen hat der Besch. die Möglichkeit, sich zu Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen der Haftbeschwerde oder -prüfung zu äußern. Insbesondere im Rahmen der mündlichen Haftprüfung ist er zu hören (§ 118a Abs. 3 Satz 1 StPO). Dabei sollen die wesentlichen Ermittlungsergebnisse, wie sie sich nach dem letzten Stand des Verfahrens darstellen und soweit der Untersuchungszweck dem nicht entgegensieht, mit ihm erörtert werden (vl. Boujong in KK, 2. A.,1987, § 118 a Rdnr. 5). Durch diese Regelungen wird dem Recht des Besch. auf rechtliches Gehör im Verfahren der Untersuchungshaft in vielen Fällen ausreichend Rechnung getragen. Allerdings kann die mündliche Unterrichtung des Besch. bei der Eröffnung des Haftbefehls oder bei der mündlichen Haftprüfung nicht immer eine hinreichend substantielle Information vermitteln. Insbesondere die Mitteilung belastender und entlastender Aussagen von Zeugen und Mitbeschuldigten oder des Inhalts von Urkunden ist bei komplexen Sachverhalten mündlich schwer zu bewältigen. Da außerdem mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse immer größeres Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 19, 342 [347)], wächst auch das Informationsinteresse des Besch., dem es ermöglicht werden muß, mit der Haftbeschwerde oder Haftprüfung eine Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft herbeizuführen. Wenn die Tatsachen und insbesondere das Beweismaterial, auf das das Gericht seine Haftentscheidung stützt, mündlich nicht (mehr) mitteilbar sind, müssen dem Besch. deshalb weitere Informationsquellen etwa durch ein Akteneinsichtsrecht eröffnet werden.

    Ein Akteneinsichtsrecht gemäß § 147 StPO als Konkretisierung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. BVerfGE 18, 399 [405]; 62, 338 [3431) steht dem Verteidiger des Beschuldigten allerdings erst nach Abschluß der Ermittlungen in vollem Umfang zu. Vorher kann die Akteneinsicht ganz oder teilweise versagt werden, wenn sie den Untersuchungszweck gefährdet (§ 147 Abs. 2 StPO). Dies ist grundsätzlich von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, da das Ermittlungsverfahren der Klärung eines Verdachts dient und deshalb nicht von Anfang an »offen«, das heißt unter Bekanntgabe aller ermittelten Tatsachen geführt werden kann. Sachverhaltserforschung und Wahrheitsfindung, zentrale Anliegen des Strafverfahrens (vgl. BVerfGE 57, 250 [275]), würden sonst unerträglichen Erschwernissen und Verdunkelungsmöglichkeiten ausgesetzt. Mit Blick auf den rechtsstaatlichen Auftrag zur möglichst umfassenden Wahrheitsermittlung im Strafverfahren (vgl. BVerfGE 80, 367 [378]) ist es nicht zu beanstanden, daß die StA im Ermittlungsverfahren einen Informationsvorsprung hat und das Informationsinteresse des Bf. bis zum endgültigen Abschluß des Ermittlungsverfahrens zurücksteht (vgl. BVerfG, NStZ 1984, S. 228; 1985, S. 228 f.).

Ist der Besch. inhaftiert, so hat er aber unter Umständen ein nicht bis zum Abschluß der Ermittlungen aufschiebbares Interesse an Aktenkenntnis. Denn während durch die Ermittlungen als solche regelmäßig nicht unmittelbar in Rechte des Besch. eingegriffen wird, liegt in diesem Fall ein Eingriff in das Recht des Besch. auf Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG vor, dessen freiheitssichernde Funktion auch im Verfahrensrecht Beachtung fordert (vgl. BVerfGE 57, 250 [2751) und das dem Informationsinteresse des Besch. gegenüber den Erfordernissen des rechtsstaatlichen Auftrags zur Wahrheitsermittlung im Strafverfahren ein höheres Gewicht verleiht. Aus dem Recht des Besch. auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (vgl. BVerfGE 57, 250 [275]) und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt mithin ein Anspruch des inhaftierten Besch. auf Einsicht seines Verteidigers in die Akten, wenn und soweit er die sich darin befindenden Informationen benötigt, um auf die gerichtliche Haftentscheidung effektiv einwirken zu können und eine mündliche Mitteilung der Tatsachen und Beweismittel, die das Gericht seiner Entscheidung zugrundezulegen gedenkt, nicht ausreichend ist. Dabei wird allerdings regelmäßig eine Teilakteneinsicht hinsichtlich der für die Haftentscheidung relevanten Tatsachen und Beweismittel genügen. Ist aus Gründen der Gefährdung der Ermittlungen aus der Sicht der StA eine auch nur teilweise Einsicht in die Ermittlungsakte nicht möglich und verweigert sie diese deshalb gemäß § 147 Abs. 2 StPO, so kann das Gericht auf die Tatsachen und Beweismittel, die deshalb nicht zur Kenntnis des Besch. gelangen, seine Entscheidung nicht stützen und muß gegebenenfalls den Haftbefehl aufheben (vgl. BVerfG, StV 1994, S.1).

Diese Grundsätze hat das OLG Braunschweig in seiner Entscheidung v. 29.3.1994 verkannt. Der Bf. hat sich in der Begründung der weiteren Beschwerde auf seine Ausführungen vor dem AG bezogen. Trotz dieser sehr allgemein gehaltenen Begründung war damit für das OLG erkennbar, daß es dem Bf. vorrangig um die Frage der Akteneinsicht und der Auswirkung ihrer Versagung auf den Bestand des Haftbefehls ging. Dieser Frage, ob nämlich dem Anspruch des Besch. auf rechtliches Gehör bei der Aufrechterhaltung des Haftbefehls Genüge getan wurde, ist das Gericht aber nicht nachgegangen, obgleich der Bf. gegenüber dem AG die Aufhebung des Haftbefehls beantragt hatte, da ihm Einblick in die Ermittlungsakten vollkommen versagt worden sei. Wie der Haftbefehl nennt auch der Beschluß des OLG als Beweismittel nur die Aussagen der Zeugen und Mitbesch. und die polizeilichen Ermittlungen, ohne daß geprüft worden wäre, ob der Besch. ohne Akteneinsicht von dem für die Haftentscheidung relevanten Inhalt dieser Aussagen und Ermittlungsergebnisse Kenntnis hatte. Angesichts der Vielzahl der Aussagen (das OLG nennt allein dreizehn Aussagen von Zeugen und Mitbesch.) und des relativ komplexen Geschehens lag die Frage nahe, ob diese Aussagen tatsächlich mündlich hätten mitgeteilt werden können oder ob nicht gerade deshalb Art. 103 Abs. 1 GG auch eine Akteneinsicht verlangt hätte. Dabei hätte für das OLG umso mehr Anlaß bestanden, der Frage einer ausreichenden Gewährleistung rechtlichen Gehörs nachzugehen, als es in seiner Entscheidung v. 18. 3. 1994 den Antrag gemäß §§ 23 ff . EGGVG gegen die Ablehnung der Akteneinsicht durch die StA abgewiesen hat. Denn die von der herrschenden Rspr. und Meinung geteilte Auffassung des OLG, daß es sich bei der Entscheidung der StA über die Akteneinsicht um keinen selbständig anfechtbaren Justizverwaltungsakt handele, ist mit den Anforderungen derart. 19 Abs.4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG nur zu vereinbaren, weil dem Besch. mit den spezifischen Rechtsbehelfen im Haftverfahren ausreichende Möglichkeiten zur Verfügung stehen, mit Haftbeschwerde oder mündlicher Haftprüfung die Anordnung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft mit der Begründung anzugreifen, der Haftbefehl sei unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zustande gekommen oder werde unter Mißachtung dieses Grundrechts aufrechterhalten (BVerfG, StV1994, S. 1). Der Beschluß des OLG beruht auch auf der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, da nicht auszuschließen ist, daß bei ausreichender Information der Bf. die Möglichkeit gehabt hätte, den Tatverdacht teilweise zu entkräften und der Haftbefehl deshalb hätte aufgehoben werden können. Der Beschl. des OLG Braunschweig v. 29.3.1994 war deshalb aufzuheben und an das Gericht zurückzuverweisen.

(Die Entscheidung ist veröffentlicht in Strafverteidiger 1994, 465)