28.11.2013 Glatteis im Vogtland – Wer haftet für den Unfallschaden?

Plauen, 28.11.2013
Leider hatte der gestrige Wetterbericht wieder einmal Recht – das angekündigte Glatteis durch überfrierenden Sprühregen hat das Vogtland heute Morgen, beginnend ab kurz nach Mitternacht, erwischt.
Mein morgendlicher Gang zum Briefkasten, um die – heute nicht gelieferte – Zeitung zu holen, begann mit einem freundlichen "Guten Morgen! Sie sind wahrscheinlich einer der vielen Unfallgeschädigten, die wir heute aufzusuchen haben!" aus dem Mund eines vor der Haustür auf einen anderen Bewohner wartenden Polizeibeamten.
Lächelnd konnte ich das Verneinen, erwiderte den Gruß und gab dem jungen Mann, der aufgrund der spiegelglatten Straße gegen seinen Willen mit seinem Auto fast in unserer Haustür gelandet war, noch ein paar tröstende Worte mit auf den Weg.
Schon gegen 10 Uhr meldete man im Radio, dass die Polizei im Vogtland deutlich über 100 Glatteisunfälle aufzunehmen hatte.

Seit Mittag melden sich nun fast im 10-Minuten-Takt potentielle Mandanten, die in der ein oder anderen Art an einem Glatteis-Unfall beteiligt waren.
Zeit also, sich einen groben Überblick zu verschaffen, wann jemand und wenn, wer haftet.
Ausgangspunkt dafür ist stets die Frage nach der Verkehrssicherungspflicht, hier der Räum- und Streupflicht.
In den nachfolgenden Fällen gehe ich zugleich von flächigem, kaum oder gar nicht erkennbarem Eis, also nicht lediglich von einer überfrorenen Pfütze aus.
Auch die Fußgängerunfälle behandle ich hier nicht.

Fall 1 – Glatteis auf nicht gestreuter Straße:

Dies sind i.d.R. die meist aussichtslosen Fälle.
Die Städte und Gemeinden haften meist nicht, da nicht erwartet werden kann, dass sie das gesamte Gemeindegebiet innerhalb kürzester Zeit bis in jede Anliegerstraße hinein gestreut haben.
Erforderlich ist, dass ein ausgearbeiteter, nach nachvollziehbaren Kriterien erstellter, Tourenplan für die Räum- und Streufahrzeuge vorliegt und eingehalten wurde.
Ansprüche werden meist durch den Kommunalen Schadensausgleich (KSA) bearbeitet, von dort alles bestritten (wirklich alles, bis hin zur Frage des Eigentumsnachweises am eigenen PKW!) und zurückgewiesen.
Auch vor Gericht wird man mit dem KSA i.d.R. keinen Vergleich hinbekommen. Ohne Urteil geht Nichts und das auch erst, wenn kein Rechtsmittel mehr möglich ist.

Fall 2 – Glatteis auf öffentlichem Parkplatz zum Gemeingebrauch:

Hier gilt fast ausnahmslos dasselbe, wie bei Fall 1, erst Recht, wenn die Stadt Eigentümerin der Fläche ist.
Heraus zu bekommen ist in jedem Fall zunächst, wen die Verkehrssicherungspflicht trifft. Ansprüche durchzusetzen ist etwas leichter, aber dennoch stehen die Chancen meist nicht gut.
Langwierig wird es allemal.

Fall 3 – Glatteis auf dem Kundenparkplatz eines Einkaufsmarktes:

Fazit vorab: Beweise sichern, Zeugen mit Namen und Anschrift aufnehmen, herausbekommen, wem der Laden gehört und dann zum Anwalt!
Dieser Fall beschäftigt Juristen in der ein oder anderen Form schon seit Jahrzehnten zu Beginn des Studiums und ist beliebtes Thema von Anfängerklausuren im Zivilrecht. smiley
Anspruchsvoraussetzung ist zunächst, dass Sie den Parkplatz zur Öffnungszeit des Marktes mit der Absicht befahren haben, in dem Markt anschließend einkaufen zu gehen.
Das OLG Karlsruhe schrieb in seinem Urteil vom 18.04.2012 (AZ: 7 U 254/12) dazu:
"Nach § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB kann es bereits durch die Anbahnung eines Vertrages bzw. nach Nr. 3 durch ähnliche geschäftliche Kontakte zur Begründung eines Schuldverhältnisses mit Schutz- und Rücksichtspflichten im Sinne des § 241 Abs. 28GB kommen. Bereits in diesem Stadium besteht die Pflicht, sich so zu verhalten, dass Körper, Leben, Eigentum und sonstige Rechtsgüter des anderen
Teils nicht verletzt werden (Palandt, 71. Auflage, § 311 Rn. 29; MünchKomm/Emmerich, BGB, 5. Auflage, § 311 Rn. 71). Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob es zum Zeitpunkt des Unfalls schon zu konkreten Kaufverhandlungen gekommen war (BGH, NJW 1962, 31). Der Schutz beginnt bei einem Schadensfall im Zusammenhang mit dem Einkauf in einem Warenhaus in dem Moment, in dem sich der Kunde mit dem Ziel eines Vertragsschlusses in die vom Warenhaus beherrschte Sphäre begibt (BGH, a.a.O.)."

Allerdings ist dabei zudem zu beachten, wer was vorzutragen und ggf. zu beweisen hat. Hierzu das OLG Brandenburg mit Urteil vom 29.03.2007 (AZ. 12 U 171/06):
"Dabei hat der Verletzte das Vorliegen einer die Streupflicht begründenden Wetter- und Straßenlage zu beweisen, während der Streupflichtige für das Vorliegen einer Ausnahmesituation, die ihm das Streuen unzumutbar macht, beweispflichtig ist (vgl. BGH NJW 1985, 484, 485; OLG Celle NJW-RR 2004, 1251; Palandt/Sprau, BGB, 66. Aufl., § 823 Rn. 230). Der Geschädigte hat somit zunächst einen Glättezustand im Verantwortungsbereich des Streupflichtigen nachzuweisen. Hingegen braucht er nicht darzulegen, dass der Glättezustand bereits solange bestanden hat, dass dem Streupflichtigen genügend Zeit für gefahrvermeidende oder -vermindernde Reaktionen zur Verfügung stand (OLG Celle a.a.O.)."

Eine Gefahr der Mithaftung besteht jedoch auch in diesen Fällen.
Können Sie nicht nachweisen, dass der Unfall trotz äußerster Sorgfalt und langsamster Fahrt geschah, bleibt ggf. ein Teil des Schadens an Ihnen bzw. Ihrer Versicherung hängen.
Wenn also durch das oder mit dem von Ihnen geführte(n) Fahrzeug ein Unfall passierte, haben Sie ggf. in diesen Fällen einen Anspruch auf teilweisen oder bestenfalls sogar vollständigen Schadenersatz am angefahrenen und am eigenen Fahrzeug.
Darauf, ob der Laden einen Hausmeisterdienst mit der Räum- und Streupflicht beauftragt hat, kommt es nicht an, denn mit der Firma haben Sie keine vertragliche Verbindung und sollten sich dementsprechend auch nicht einfach dorthin verweisen lassen. Der Ladeninhaber kann aber ggf. diese Firma später in Regress nehmen.
Auch wenn es nicht wirklich darauf ankommt:
Der Ladeninhaber wird sich gerade in der heutigen Situation auch nicht damit entschuldigen können, er habe geglaubt, der Hausmeisterdienst werde schon rechtzeitig bis zur Öffnungszeit eintreffen.
Gerade aufgrund des bereits in der Nacht eingetretenen Glatteises war es so, dass jede/r Mitarbeiter/in des Ladens die Glätte auf dem Kundenparkplatz feststellen musste.
War der Streudienst bis zur Öffnungszeit noch nicht eingetroffen, hätte man sich problemlos mit der vorübergehenden Sperrung des Parkplatzes helfen können.

Abwandlung:
Haben Sie ihr Fahrzeug ordnungsgemäß auf dem Kundenparkplatz abgestellt und rutscht es später durch ein Gefälle auf dem Glatteis an ein anderes Fahrzeug, haften weder Sie noch Ihre Versicherung für den Schaden am Fremdfahrzeug!

Für einen kurzen Überblick sollte dies zunächst reichen.
Alles Weitere und auf den konkreten Einzelfall bezogen, sollten wir am Schreibtisch besprechen.
In jedem Fall gilt:

Ein Anwalt ist preiswerter, als kein Anwalt!

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Verkehrsrecht veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.