Sexualdelikte – Strafzumessung

Revision der Staatsanwaltschaft erfolglos

(Anm.: Die StA legte in diesem Verfahren Revision ein mit der Begründung, dass das Landgericht die Beweise fehlerhaft gewürdigt und dadurch fehlerhaft zu der Annahme eines minderschweren Falles der Vergewaltigung gelangt sei. Zudem wurde die Berücksichtigung einer vorangegangenen Verurteilung angegriffen. Der BGH stellte klar, dass die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters sei und diese nicht in der Revision durch eine abweichende Würdigung der Staatsanwaltschaft ersetzt werden könne. Der Rechenfehler im Härteausgleich des Landgerichtes wurde durch den BGH korrigiert.)

BGH, Urteil vom 10. September 1997– 3 StR 337/97 – (Vorinstanz LG Zwickau)

In der Strafsache gegen M. aus R., geb. in G. (Afghanistan),

wegen Vergewaltigung u.a.

hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in der Sitzung vom 10. September 1997 für Recht erkannt:

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 23. Januar 1997 wird mit der Maßgabe verworfen, daß der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, elf Monaten und drei Wochen verurteilt wurde.

2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, neun Monaten und drei Wochen verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt, wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Annahme eines minder schweren Falles der Vergewaltigung. Auch habe die Strafkammer den Härteausgleich fehlerhaft vorgenommen. Die Begründung, mit der die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden sei, sei ebenfalls fehlerhaft.
Das – vom Generalbundesanwalt nur hinsichtlich des gewährten Härteausgleichs vertretene – Rechtsmittel hat nur insoweit Erfolg; im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

1. Die Auffassung des Landgerichts, daß die Tat des Angeklagten als minder schwerer Fall der Vergewaltigung zu werten sei, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Soweit die Beschwerdeführerin sich gegen die strafmildernde Überlegung wendet, das Vortatverhalten der Geschädigten sei geeignet gewesen, bei dem Angeklagten die Hoffnung zu erwecken, sie sei bereit, mit ihm den Geschlechtsverkehr auszuüben, unternimmt sie eine eigene Würdigung des Sachverhalts und entfernt sich dabei von den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen. Auch § 21 StGB ist nicht rechtsfehlerhaft angenommen worden. Zwar ist die Formulierung auf UA S. 28 bei der Wiedergabe des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens – isoliert betrachtet – mißverständlich, wenn es dort heißt, es sei "davon auszugehen, daß der Angeklagte in seiner Fähigkeit, eigene Handlungsabläufe zu steuern, bei Begehung der Tat erheblich beeinträchtigt im Sinne des § 21 StGB gewesen ist. Gleiches gilt für die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten." Der Senat schließt jedoch aus, daß das Landgericht damit beide Alternativen des § 21 StGB – die nicht gleichzeitig gegeben sein können (vgl. BGH NStZ 1989, 430 m. Nachw.) – bejahen wollte. Sowohl aus dem Zusammenhang dieser den Inhalt des Sachverständigengutachtens referierenden Urteilsstelle als auch aus der Gesamtheit der Feststellungen ergibt sich, daß der Tatrichter nur von einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund übermäßigen Alkoholgenusses (BAK von 2,33 ‰ zum Tatzeitpunkt) ausgegangen ist (UA S. 9, 31).

2. § 56 Abs. 2 StGB ist ebenfalls nicht verletzt. Die Strafkammer hat ihre Erwartung, daß sich der Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird, auch daß aufgrund der Gesamtheit der erörterten und für den Angeklagten sprechenden Umstände besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begründet. Die Wertung des Landgerichts liegt innerhalb des dem Tatrichter zustehenden Beurteilungsrahmens und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, selbst wenn eine zum umgekehrten Ergebnis führende Würdigung – wie sie die Beschwerdeführerin vornimmt – ebenfalls rechtlich möglich gewesen wäre, und das Revisionsgericht die gegenteilige Auffassung für zutreffender halten würde (vgl. BGH NStZ 1981, 389, 390; BGHR StGB § 56 II Gesamtwürdigung 4; vgl. Urteil vom 28. Mai 1997 – 3 StR 145/97). Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß das Landgericht nicht ausschließbar den zugunsten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkt, daß er sich nach der Tat straffrei geführt hat, deshalb überbewertet haben mag, weil der Angeklagte sich seit der Tatbegeheung in Untersuchungshaft befunden hat. Indes kommt diesem Strafmilderungsgrund angesichts zahlreicher anderer, für den Angeklagten sprechender gewichtiger Umstände erkennbar keine bestimmende Bedeutung zu.

3. Das Landgericht hat für die Tat eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren für schuldangemessen gehalten. Zutreffend hat es weiter ausgeführt, daß mit einer Strafe von zehn Tagessätzen wegen Nötigung eine Gesamtstrafe hätte gebildet werden müssen, wäre nicht diese Strafe bereits vollstreckt worden. Dieser Nachteil müsse nachträglich ausgeglichen werden.
Dazu heißt es im Urteil (UA S. 33):
"Im Wege eines Härteausgleiches ist deswegen eine fiktive Gesamtstrafe unter Anrechnung der bereits vollstreckten Strafe aus der früheren Verurteilung zu bilden (Dreher/Tröndle, StGB, 47. Auflage, Rdnr. 7b zu § 55). Nach Durchführung des Nachteilsausgleiches hält deshalb die Kammer eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, neun Monaten und drei Wochen für angemessen. Die bereits vollstreckte Strafe war – abweichend vom gesetzlichen Regelfall – hier nach Wochen zu berücksichtigen (Dreher/Tröndle, StGB, 47. Auflage, Rdnr. 6 zu § 39)."
Diese Berücksichtigung des Härteausgleichs entspricht nicht dem Gesetz. Allerdings hat das Landgericht entgegen seiner Wortwahl keine "fiktive Gesamtstrafe" gebildet. Eine solche "fiktive Gesamtstrafe", die vom Landgericht auch nicht mitgeteilt wird, hätte nämlich über zwei Jahren Freiheitsstrafe liegen müssen. Von dieser wäre dann der Härteausgleich für die Geldstrafe von zehn Tagessätzen abzuziehen gewesen. Aus der gefundenen Strafe von einem Jahr, neun Monaten und drei Wochen wird vielmehr deutlich, daß das Landgericht den Härteausgleich tatsächlich bei der Festsetzung der neuen Strafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe berücksichtigen wollte. Aber auch in diesem Fall darf die Freiheitsstrafe nicht so niedrig ausfallen. Denn von der nach Auffassung des Landgerichts zu mindernden Freiheitsstrafe von zwei Jahren sind lediglich zehn Tagessätze Geldstrafe abzuziehen, was nach der erkennbaren Wertung des Landgerichts statt eines Monats drei Wochen Freiheitsstrafe ergibt. Der Abzug weiterer zwei Monate Freiheitsstrafe ist bei einem Härteausgleich für lediglich zehn Tagessätze Geldstrafe wegen seiner Unangemessenheit rechtlich nicht möglich. Ersichtlich beruht der Strafausspruch durch das Landgericht auf einem Versehen.
Der Generalbundesanwalt hat in der Hauptverhandlung beantragt, die Strafe richtig auf ein Jahr, elf Monate und drei Wochen festzusetzen.
Dem entspricht der Senat (§ 354 Abs. 1 StPO analog; vgl. BGHR StPO § 354 I Strafausspruch 9).

4. § 177 StGB in der Fassung des 33. Strafrechtsänderungsgesetzes (BGBl 1997 I S. 1607) stellt bei konkreter Betrachtung nicht das mildere Recht im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB dar.

5. Der Senat weist erneut darauf hin, daß die schriftlichen Urteilsgründe nicht dazu dienen, all das zu dokumentieren, was in der Hauptverhandlung an Beweisen erhoben wurde, und die Aussagen der Zeugen umfänglich wiederzugeben. Mit der Beweiswürdigung soll – unter Berücksichtigung der Einlassung des Angeklagten – lediglich belegt werden, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind. Hierzu sind die Bekundungen der Zeugen, Urkunden o.ä. heranzuziehen, soweit deren Inhalt für die Überzeugungsbildung wesentlich ist (BGH, bei Zschockelt, NStZ 1997, 266; BGH, Beschluß vom 14. Mai 1997 – 3 StR 193/97; vgl. auch BGH NStZ 1985, 184).