Strafzumessung

Sprungrevision zur Strafzumessung

Oberlandesgericht Dresden, Beschluß vom 29. März 1995 1 Ss 18/95 –
(Vorinstanz: AG Plauen, AZ.: 5 Ls 652 Js 7816/94)

Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Dresden und nach Anhörung des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Plauen vom 21.10.1994 im Ausspruch über die verhängte Einzelstrafe und über die Gesamtstrafe mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Plauen zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

G r ü n d e :

I.
Der Angeklagte wurde am 21.10.1994 durch das Amtsgericht – Schöffengericht – Plauen wegen "tateinheitlich begangener Vergehen der Gefangenenmeuterei und gefährlicher Körperverletzung unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Zwickau – Strafrichter – vom 06.09.1994 (9 Ds 631 JS 6297/94), rechtskräftig seit diesem Tage, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten" verurteilt.

Am 27.10.1994 wurde durch den Verteidiger des Angeklagten gegen dieses Urteil Rechtsmittel eingelegt, welches mit Schriftsatz vom 14.11.1994 als Revision konkretisiert wurde. Nach Urteilszustellung am 07.11.1994 ging am 07.12.1994 per Fax die Revisionsbegründung ein, mit der die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gerügt wird.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Dresden hat beantragt, die Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.
Die zulässige Revision des Angeklagten hatte nur teilweise Erfolg.

A.
Soweit es den Schuldspruch betrifft, hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsbegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

B.
Demgegenüber enthält die Strafzumessung sowohl bezüglich der für den Schuldspruch auszuwerfenden Einzelstrafe, als auch bei der Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe durchgreifende Rechtsfehler.

l. a)
Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Amtsgericht in seinem angefochtenen Urteil bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten Kriterien berücksichtigt hat, die nicht durch § 46 Abs. 2 StGB gerechtfertigt sind.

So hat das Amtsgericht in seinem Urteil (UA S. 5, V., 3. Abs.) ausgeführt:
"Zugunsten des Angeklagten sprechen keinerlei Gesichtspunkte. Er war nicht geständig; er hat vielmehr versucht, die Wahrheit zu vertuschen."
Aufgrund der Formulierung "… er hat vielmehr versucht …" kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Amtsgericht zu Lasten des Angeklagten bei der Strafzumessung berücksichtigt hat, daß dieser nicht nur nicht geständig war, sondern sogar die Wahrheit vertuschen wollte. Was das Amtsgericht unter "vertuschen der Wahrheit" versteht, läßt es im Urteil offen. Zwar kann gemäß § 46 Abs. 2 StGB das (negative) Verhalten des Angeklagten nach der Tat berücksichtigt werden, jedoch kann eine zur Stratschärfung berechtigende rechtsfeindliche Einstellung nicht einem zulässigen Verteidigungsverhalten entnommen werden (vgl. z.B. BGH StV 91, 255 m.w.N.), es sei denn, daß festgestellt worden wäre, daß er sich bei seinem Verteidigungsverhalten unlauterer Mittel bedient hätte (wie z. B. versucht hätte, Zeugen einzuschüchtern oder sie zur Falschaussage zu bestimmen, Dritte unberechtigt belastete (vgl. BGH NStZ 91, 182) oder in sonstiger Weise versucht, das Prozeßergebnis unzulässig zu beeinflussen). Ein solches unzulässiges Verhalten kann jedoch aus den Urteilsgründen nicht entnommen werden, insbesondere kann aus der Verwendung des Wortes "vertuschen", da es sich hierbei lediglich um einen wertenden Begriff handelt, nicht auf bestimmte unzulässige Tatsachen geschlossen werden. Urteile müssen auch in bezug auf die Strafzumessungserwägung aus ihren Gründen selbständig, widerspruchsfrei und lückenlos nachvollziehbar sein, da nur so im Rahmen der Revision überprüft werden kann, ob die Strafzumessungskriterien des § 46 StGB richtig und vollständig angewandt worden sind. Dies ist jedoch im vorliegenden Fall ohne gleichzeitige Mitteilung der der Wertung zugrundeliegenden Tatsachen nicht möglich.

1. b)
Rechtsfehlerhaft ist weiterhin die Feststellung (UA S. 5, V., 5. Abs.): "Bei der Tat selbst wendete der Angeklagte erhebliche Energie auf. Nur mit Zusammenwirkung einiger anderer Personen und unter Anwendung von Fesselung und Knebelung des Zeugen St. konnte der Fluchtplan durchgeführt werden; das war dem Angeklagten auch bekannt und er fand sich zumindest damit ab. Er nahm die dann tatsächlich aufgetretene, nicht unerhebliche Verletzung des Zeugen durch sein Verhalten und zu Boden werfen auch zumindest billigend in Kauf."

Diese Erwägungen verstoßen gegen § 46 Abs. 3 StGB, da § 121 StGB tatbestandsmäßig bereits voraussetzt, daß Gefangene sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften handeln. Das Urteil läßt insoweit auch offen, was es unter der Anwendung "erheblicher" Energie versteht, somit wohl eine Energieaufwendung, die über die tatbestandsmäßig unumgänglich notwendige hinausgeht. Zwar ist es möglich, daß das Amtsgericht damit die Tatsache der Fesselung und Knebelung des Zeugen St. meinte, jedoch muß aus der Einleitungsformulierung zum selben Satz: "nur mit Zusammenwirken einiger anderer Personen …" geschlußfolgert werden, daß die erhebliche Energie sich nur aus den beiden Faktoren "Zusammenwirken einiger anderer Personen" und "Anwendung von Fesselung und Knebelung" ergibt. Damit hat das Amtsgericht jedoch gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen, da das Zusammenwirken von Personen tatbestandsmäßig Voraussetzung für die Anwendung des § 121 StGB ist.

1. c)
Ebenso verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB, daß das Amtsgericht straferschwerend die mit bedingtem Vorsatz erfolgte Körperverletzung gewertet hat, obwohl der Beschwerdeführer neben der Gefangenenmeuterei gemäß § 121 StGB tateinheitlich wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurde.

1. d)
Rechtlich zu beanstanden ist auch, daß das Amtsgericht in seinem Urteil zu Lasten des Angeklagten bewertete, daß "der Angeklagte bereits zweimal strafrechtlich in Erscheinung getreten und hierfür schon geahndet war".
Bei dem bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz anhängig gewesenen Ermittlungsverfahren (vgl. Urteilsgründe I. 1.) wurde von der Verfolgung gemäß § 45 Abs. 2 JGG abgesehen. Bei dieser Maßnahme handelt es sich nicht um eine Ahndung, sondern vielmehr um eine Verfahrenseinstellung, die, wie sich aus dem Verweis des § 45 Abs. 1 JGG ergibt, dieselben Grundvoraussetzungen wie diese Vorschrift hat. Dies bedeutet aber zugleich, daß eine solche Einstellung mit der Fiktion einer Schuld arbeitet und keine Feststellung über ein tatsächliches strafrechtliches Verhalten beinhaltet. Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob eine Auflage gemäß § 15 Abs. 1 Ziff. 3 JGG als Ahndung bezeichnet werden kann.

2.
Nicht nur weil eine der Gesamtstrafenbildung zugrundeliegende Strafe fehlerhaft zustande gekommen ist, war das Urteil auch im Gesamtstrafenausspruch aufzuheben, sondern auch weil die nachträgliche Gesamtstrafenbildung selbst gemäß § 55 StGB rechtsfehlerhaft vorgenommen worden ist.
Die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe an sich kann bereits wegen zu ungenauer Ausführung hinsichtlich der einbezogenen Einzelstrafen keinen Bestand haben. Aus den Urteilsgründen (vgl. UA S. 3 Mitte; I., letzter Absatz) ergibt sich, daß der Angeklagte wegen Diebstahls oder Hehlerei und illegalen Aufenthalts zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten durch das Amtsgericht Zwickau am 06.09.1994 verurteilt wurde. Rechtsfehlerhaft ist die Bildung der neuen Gesamtfreiheitsstrafe durch das Amtsgericht deshalb schon, weil es "unter erneuter Wertung aller schuldbildenden Faktoren" auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monate erkannte, ohne daß das Amtsgericht die schuldbildenden Faktoren, die für die Gesamtstrafenbildung von Bedeutung waren, in ihrem wesentlichen Inhalt wiedergegeben hätte. Damit hat aber das Amtsgericht in unzulässiger Weise auch auf Erkenntnisquellen außerhalb des eigenen Urteils verwiesen. Soweit Umstände für die Zumessung der Gesamtstrafe gemäß § 267 Abs. 3 S. 1 StPO bestimmend gewesen sind, müssen diese in den Urteilsgründen mitgeteilt werden; insoweit ist eine Bezugnahme auf den Inhalt eines anderen Urteils unzulässig (vgl. u. a. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1986, 208). Dies bedeutet zwar nicht zwingend, daß die Lebenssachverhalte im einzelnen mitzuteilen sind (obwohl dies u. U. empfehlenswert sein kann) die den damals abgeurteilten Taten zugrundelagen, und daß notwendigerweise die Strafzumessungserwägungen des einbezogenen Urteils im neuen Urteil wiedergegeben werden müßten. Jedoch ist es bei der Einbeziehung der einzelnen Strafen erforderlich, daß die einzelnen Taten und die jeweils verhängten Einzeistrafen konkret bezeichnet sowie gegebenenfalls die Umstände angeführt werden, die für die Zumessung der nunmehr zu bildenden Gesamtstrafe bestimmend gewesen sind (vgl. BGH, BGHR, § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB). Dies hat das Amtsgericht in seiner angefochtenen Entscheidung jedoch nicht getan, so daß die Strafzumessungserwägungen, die Einfluß in den neuen und selbständigen Vorgang der Gesamtfreiheitsstrafe finden müssen, einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen sind

III.
Zusätzlich ist anzumerken:

1. Fehlerhaft ist es, wenn es in dem Urteil (UA S. 5, V., vorletzter Absatz) heißt: "Gemäß § 55 StGB war eine Gesamtstrafe zu bilden, mit der in dem Urteil des Amtsgerichts Zwickau vom 06.09.1994 erkannten Gesamtstrafe …"
Eine nachträgliche Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB ist nicht mit der Gesamtstrafe eines anderen Urteils, sondern mit den dieser (nunmehr aufzulösenden) Gesamtstrafe zugrundeliegenden Einzelstrafen zu bilden. Lediglich aus der Tatsache, daß das Urteil insoweit die zusätzliche Formulierung: "… wobei die Gesamtstrafe aus jedem Urteil aufzulösen war" enthält, konnte letztendlich geschlußfolgert werden, daß der Gesamtstrafenbildungsvorgang an sich richtig durchgeführt wurde und es sich lediglich um eine fehlerhafte Formulierung handelt.

2. Für eine spätere Verhandlung ist bezüglich der Abfassung der Urteilsformel zu beachten:

a) Bei der in der Urteilsformel vorzunehmenden rechtlichen Bezeichnung der Tat (§ 260 Abs. 4 S. 1 StPO) wird ihre rechtliche Einordnung als Verbrechen oder Vergehen in die Urteilsformel nicht aufgenommen (vgl. BGH, NJW 86, 1116).

b) In Anknüpfung an die Ausführungen der rechtsfehlerhaften (nachträglichen) Gesamtfreiheitsstrafenbildung wäre insoweit auch der Urteilstenor zu berichtigen etwa dahingehend, daß der Angeklagte "wegen Gefangenenmeuterei in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter gleichzeitiger Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Zwickau vom 06.09.1994 (7 Ds 639 JS 6297/94) und Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe" zu der späterhin neu zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt wird.

IV.
Mit der neu zu treffenden Entscheidung wird auch über die Kosten der Revision zu befinden sein.