Strafrecht

Wehe du singst - Quelle: Umschlageinband der "Strafverteidigerlieder"

Quelle: Umschlageinband der "Strafverteidigerlieder"

„Wie kannst du nur DEN verteidigen?“

(oder: Das Selbstverständnis des Verteidigers)

Diese Frage wird dem Rechtsanwalt, der in Verfahren tätig wird/werden muss, in denen Tatvorwürfe verhandelt werden, die gesellschaftlich als besonders verabscheuungswürdig angesehen werden, immer wieder gestellt. Dies betrifft insbesondere die Sexualdelikte, wie Vergewaltigung, sexueller Mißbrauch von Kindern, aber auch Gewaltverbrechen, bei denen dem Täter besonders brutales Vorgehen gegen die Opfer vorgeworfen wird.

Nicht zuletzt stellt sich diese Frage sicherlich auch der ein oder andere Rechtsanwalt, der durch die Pflichtverteidigerbestellung in die Rolle des Verteidigers gezwungen wurde.

Auch ich habe mir diese Frage zu Anfang meiner Betätigung in der Strafverteidigung gestellt. Zunächst habe ich versucht, meine eigene Psyche dadurch zu „schützen“, dass ich zunächst bestimmte Fälle nicht annahm, danach den Mandanten geradezu verbot, mir mitzuteilen, was sie tatsächlich getan haben, um mich nur an der Akte und den darin beinhalteten Beweisen zu orientieren.

Im Laufe der Zeit gestaltete sich dies jedoch immer wieder als Hemmschuh wirksamer Verteidigung. Gleichzeitig entwickelte sich mehr und mehr ein reines „Falldenken“: Die Opfer und deren Schädigungen traten immer mehr in den Hintergrund; die möglicherweise durch den eigenen Mandanten ausgeführten Handlungen wurden zum juristischen „Objekt“ der verschiedenen Strafmaßüberlegungen und die Beweisbarkeit oder Nichtbeweisbarkeit einzelner oder sämtlicher Handlungen des Mandanten trat immer weiter in den Vordergrund.

Anders ausgedrückt: Die „Vertragstheorie“ gewinnt glücklicherweise im Verteidigerdasein die Oberhand.

Man denkt im Laufe der Zeit in der Tat schizophren und trennt absolut zwischen dem Fall auf dem Tisch und der persönlichen Einstellung zu solchen Taten. So habe ich schon eine Reihe von Mandanten in Missbrauchsverfahren verteidigt, die ich möglicherweise für die gleiche Tat, dann jedoch begangen an einer mir nahestehenden Person, möglicherweise zumindest erheblich körperlich beschädigt hätte.

Einher geht damit auch, dass ich die zu bearbeitenden Fälle bei Verlassen der Kanzlei dort zurück lasse und nicht etwa im Hinterkopf mit nach Hause nehme. Darum erhalten meine Mandanten in der Regel nicht meine Handy-Nr., denn die Versuchung, den Verteidiger in dessen Freizeit anzurufen, weil soeben noch ein vielleicht hilfreicher Gedanke kam, wäre verständlicherweise zu groß.

Ansatzweise kann man es vielleicht wie folgt verdeutlichen:

Wenn ein Rechtsanwalt in einem Zivilverfahren von seinem Mandanten für diesen ungünstige Tatsachen mitgeteilt bekommt, werden weder Rechtsanwalt, noch Mandant versucht sein, diese der Gegenseite zu offenbaren, solange sie nicht dadurch aufgefordert sind, bewusst zu lügen. Dem Gegner entsteht durch das Unterlassen ggf. erheblicher Schaden, da er mit seinen Ansprüchen nicht durchzudringen vermag. Sie kämen nur selten auf die Idee, dass der Rechtsanwalt als „unabhängiges Organ der Rechtspflege“ gem. § 1 BRAO verpflichtet sein soll, gegen seinen eigenen Mandanten zu arbeiten. Er ist der Vertragspartner des Rechtsanwaltes, zu dessen bestmöglicher Hilfe unter Nutzung aller prozessualen Möglichkeiten ein Rechtsanwalt sich verpflichtet fühlen muss.

Nicht anders steht es um den Strafverteidiger! Auch er hat einen Vertrag zu erfüllen.

Zudem und unabhängig des Rechtes eines jeden Menschen auf Verteidigung:                       Wo wollte man die Grenze ziehen?                                                                                                  „Zu schnelles Fahren oder mal eine rote Ampel erwischt, dem Staat „eins ausgewischt“ durch eine „kleine Steuerhinterziehung“ oder Schwarzarbeit trotz Erhalt von Leistungen nach Hartz IV… alles nur Kavaliersdelikte. Der Staat soll sich nicht so anstellen und selbstverständlich muss da ein Verteidiger zeigen, was er kann, dass es gut bzw. glimpflich ausgeht.“

Haben nicht alle diese „Täter“ ebenfalls ein Gesetz gebrochen? Was ist, wenn der Raser beim nächsten Mal aufgrund seiner Geschwindigkeit nicht mehr rechtzeitig vor dem kleinen Kind bremsen kann, der Rotlichtsünder in den Querverkehr rauscht und  ein Familienschicksal zerstört etc.?

Ein bisschen Anspruch auf Verteidigung kann und darf es nicht geben – entweder ganz oder gar nicht! Unser Strafprozessrecht wurde mit der Maßgabe geschrieben: „Lieber ein Straftäter in Freiheit, als ein Unschuldiger verurteilt!“

In dubio pro reo – Im Zweifel für den Angeklagten.

Ziehen Sie jedoch daraus nicht den irrigen Schluss, dass nun in der Strafverteidigung alles erlaubt ist oder gar der Strafverteidiger sich mit seinem Mandanten „verbrüdert“, geschweige denn dessen Tat auch nur ansatzweise gutheißt. Eine persönliche Beziehung zum Mandanten oder Mitleid mit ihm, ist mit der Tätigkeit unvereinbar. Auch ein Strafverteidiger unterliegt Regeln und hat sich daran zu halten, will er seinen Beruf seriös ausüben. Er ist nicht das „Mietmaul“ des Mandanten und falls Sie von Ihrem Rechtsanwalt nur dem Mandanten genehme und schmeichelhafte Prognosen erwarten, sollten Sie sich besser gleich eine andere Kanzlei suchen. Wir reden in der Regel klar und deutlich mit unseren Mandanten.

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