Leipzig, 17.04.2013: Falsche Tel.-Nr. gewählt? Macht nichts? Manchmal doch!

Freispruch im Verfahren wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tatmehrheit mit versuchter Freiheitsberaubung durch das LG Leipzig!

– ein Prozessbericht

Nach zähem Kampf sprach heute das Landgericht Leipzig einen jungen Leipziger, der neben einem Leipziger Kollegen durch Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Herbert Posner, Plauen, verteidigt wurde, vom Vorwurf der schweren räuberischen Erpressung in Tatmehrheit mit versuchter Freiheitsberaubung frei.

Vor der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts Leipzig wurde seit dem 04. März 2013 an insgesamt vier Verhandlungstagen verhandelt – Strafrahmen des Strafvorwurfes der schweren räuberischen Erpressung: mindestens 5 bis 15 Jahre Freiheitsstrafe!

Das Verfahren begann als reiner Indizienprozess.

Der Täter hatte am 14.04.2011 gegen 13:10 Uhr eine ältere Dame in deren Haus überfallen und unter Drohung mit einem Messer und einem Fäustel, die er beide in der rechten Hand hielt, Schränke durchsucht und Bargeld geraubt. Zudem habe er die geschädigte ältere Dame in ihre ebenerdig gelegene Küche gesperrt, aus der sie durch das Küchenfenster geflüchtet sei.
Wohl zeitgleich, soll er wahrscheinlich mit einem silberfarbenen BMW-Kombi ohne (!) Dachreling vom Tatort weggefahren sein.

Der Angeklagte hatte zweimal, zuletzt ca. 30 Minuten zuvor, bei der Geschädigten angerufen. Diese registrierte den zweiten Anruf und nahm ab, er legte jedoch sofort wieder auf, ohne sich zu melden.
Über die Rufnummer ermittelte man ihn, sein Standort zu der Zeit nur 1,5 Km entfernt und stellte zudem fest, er könnte Zugriff auf den silbernen 3er BMW Touring seines Vaters gehabt haben, was der Staatsanwaltschaft zur Erhebung der  Anklage ausreichend erschien.

Dass der BMW des Vaters zu der Zeit kaputt war und zudem über eine Dachreling verfügte, die Durchsuchungen ohne Ergebnis blieben, der Angeklagte einen Sprachfehler hat, von dem die Geschädigte nichts erwähnte etc., fiel dann wohl in die Kategorie „unerheblich“, wenn man einen Ermittlungserfolg sucht …

Es wurde spannend!

Die Anklage stützte sich auf folgende Indizien:

  1. Der Angeklagte hatte 2x (11:59 Uhr und 12:39 Uhr) bei der Geschädigten angerufen.
    Diese hat lediglich das 2. Telefonat angenommen, der Anrufer habe sich aber nicht gemeldet.
    Bei diesem Anruf war das Handy nur ca. 1,5 km entfernt vom Haus des Opfers.
  2. Der Täter sei vermutlich mit einem silbernen BMW Kombi ohne Dachreling geflüchtet.
  3. Es wurden Schuhabdrücke von Sportschuhen gesichert. Laut Geschädigter trug der Täter allerdings dreckige Arbeitsschuhe. Ein Paar Sportschuhe wurde beim Angeklagten sichergestellt. Der Sachverständige konnte sie als Verursacher "nicht ausschließen".
  4. Beim Angeklagten wurden eine Strumpfmaske und Messer gefunden.

Der Angeklagte verteidigte sich zur Sache schweigend.

In der Hauptverhandlung am 04.03.2013 sagte die Geschädigte:

– Sie habe nur einen Anruf mitbekommen;
– der Täter trug hohe Schuhe, nicht solche Turnschuhe, wie vom Angeklagten;
– die ihr vorgelegte Strumpfmaske und die Messer, die beim Angeklagten anlässlich der Durchsuchung aufgefunden wurden, seien anders, als die des Täters;
– die Statur des Angeklagten könnte zum Täter passen.

 

Nach der Vernehmung der Zeugin gab es eine Pause; der Angeklagte stand mit seinen beiden Verteidigern vor dem Gericht. Die Zeugin kam heraus, stellte sich direkt vor ihn, schaute ihn an und sagte spontan:

"Sie können es nicht gewesen sein. Sie sind ja viel zu klein!"

Das wiederholte sie in erneuter Vernehmung auch gegenüber dem Gericht.
Auf Bitte der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft zog sie sogar noch ihre Schuhe aus, blieb aber dennoch dabei, dass der Angeklagte zu klein gewachsen sei.

Am dritten Verhandlungstag wurden zunächst die ehemalige Freundin des Angeklagten und dessen Vater vernommen.
Beide bestätigten, dass der Angeklagte wohl an diesem Tag in den Vorort fahren wollte, um übers Internet bestellte Autoteile abzuholen. Während die Freundin erklärte, dass er später auch mit den Teilen wieder nach Hause zurückgekehrt sei, erläuterte der Vater, er habe aufgrund dieser Rekonstruktion des Tagesablaufes versucht, im Internet nach Telefoneinträgen zu Autoteilehändlern in dem Ort zu recherchieren.
Obwohl der Ehemann der Geschädigten eigentlich mit einem Taxi-Eintrag im Telefonbuch stehe, sei dessen Nummer bei der Autoteile-Recherche mit angezeigt worden. Er, der Vater, habe daraus gefolgert, dass der Angeklagte losgefahren sei, bei der von ihm zunächst angefahrenen Firma ohne Erfolg blieb und sodann vom Handy aus die diversen Telefonnummern durchprobierte. Da sich die Geschädigte beim ersten Versuch nicht gemeldet hatte, sei sicher später der zweite Versuch erfolgt, bei dem sich der Angeklagte nicht meldete, da er zwangsläufig vernahm, dass dies nicht die gesuchte Adresse sein konnte.

Diese Vermutung unterstützte Rechtsanwalt Herbert Posner mittels einer auf DIN A3 gedruckten Google-Luftbildaufnahme und unter deutlicher Kritik am ermittelnden Kriminalbeamten.
Der hatte zwar die Lokalisation des Handys vorgenommen und später auch verschiedene Autoteile-Firmen angerufen, jedoch eine Beziehung dieser beiden Ansätze, insbesondere der Orte zueinander, unterlassen. Hätte er dies getan, hätte er festgestellt, dass sich der Angeklagte bei seinem zweiten Anruf in einem Weg unmittelbar neben einer der durch den Kriminalisten kontaktierten Firmen befand.

Für die Überraschung des Tages sorgte jedoch der Diensthundeführer, der mit seinem Hund der Fährte des Räubers gefolgt war.
Dieser erklärte, dass er nach erfolgloser Spurverfolgung zum Haus der Geschädigten zurückgekehrt sei, wo inzwischen die Kripo ebenfalls eingetroffen gewesen sei.
Einer dieser Beamten hätte ihm eine blaue Stoffmütze als dem Täter gehörig gezeigt, jedoch verweigert, dass er sie für eine erneute Spurensuche nutzt, da sie zur DNA-Untersuchung gebraucht werde.

Es entstand allgemeines Staunen im Saal, tauchte doch an keiner Stelle der Ermittlungsakte ein Hinweis auf eine solche Mütze auf.
Befragt, ob er vielleicht den Tatort angesichts seiner häufigen Einsätze verwechsle, bekräftigte der Beamte, dass er sich sicher sei, denn er habe sich in dieser Sache so sehr darüber geärgert.

Dadurch wurde nun ein weiterer Verhandlungstag zur erneuten Vernehmung des Aktensachbearbeiters notwendig.
Diese Vernehmung brachte jedoch nichts ein, da der Sachbearbeiter erklärte, erst zum Tatort gekommen zu sein, als der Diensthundeführer bereits fertig gewesen sein. Wenn eine Mütze gefunden worden wäre, wäre er froh gewesen, da man dann einen Ansatz für eine DNA-Untersuchung gehabt hätte. Er könne sich allenfalls vorstellen, dass der Hundeführer aus den Erzählungen der anderen Beamten mitbekommen haben könnte, dass die Überfallene dem Täter zu Beginn dessen Basecap vom Kopf geschlagen hatte. Da es jedoch nicht mehr am Tatort war, müsse es der Täter später wieder mitgenommen haben.

Sodann wurden die Plädoyers gehalten.

Zum völligen Erstaunen der Verteidiger, plädierte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft auf Verurteilung des Angeklagten.
Zwar habe die Geschädigte ihn als Täter nicht zu 100% bestätigt, aber auch Übereinstimmungen mit dem Täter geschildert. Dass sie meinte, der Täter sei größer, als der Angeklagte gewesen, sei unerheblich, da sie sich in der Überfallsituation sicher in einem psychischen Ausnahmezustand befunden habe. Durch das Gefühl der Unterlegenheit habe sie sich sicher nur kleiner gefühlt, als sie tatsächlich ist. Auch die mögliche Suche des Angeklagten nach Autoteilen und dadurch bedingte Anrufversuche sei nicht nachvollziehbar. Zudem wäre es nach ihrer Auffassung dann normal gewesen, wenn er sich am Telefon gemeldet hätte.
Schließlich sei der Angeklagte früher auch mal Taxifahrer gewesen und hätte daher Insiderwissen, dass Taxiunternehmer ihr Geld normalerweise zu Hause aufbewahren.
Auch der Schuhabdruck habe zu seinen Sportschuhen gepasst.

Als sie dann noch ausführte, der Angeklagte habe nicht bestritten … und er hätte sich leicht verteidigen können, indem er Belege für die Autoteile hätte vorlegen können, war es geradezu ein Kraftakt, als Verteidiger nicht aufzuspringen und die Staatsanwältin nicht in ihrem Rederecht zu stören, argumentierte sie doch damit gegen das Gesetz, dem auch sie verpflichtet ist..

Ein kleiner Exkurs zum Recht zu Schweigen:
Beim Schweigen handelt es sich um ein elementares Wesensmerkmal eines rechtsstaatlichen Verfahrens und nicht um die unnötige Erschwerung der Tätigkeit des Richters (KG Berlin, Urteil v. 11.06.2010, Az: 2 Ss 157/10); Schweigen genießt vielmehr Verfassungsrang (BVerfG NJW 1981, 1431). Es dürfen keinerlei negative Rückschlüsse daraus gezogen werden, wenn ein Angeklagter zum Tatvorwurf völlig schweigt (BGHSt 32, 140, 144). Insbesondere darf beim Schweigen des Angeklagten das Gericht nicht vermuten, der Angeklagte habe etwas zu verbergen.

Es könne sein, dass der Angeklagte in dem Vorort irgendwann Autoteile geholt habe, aber die Ex-Freundin und der Vater hätten sich schließlich nicht auf einen bestimmten Tag festlegen können.

Schließlich habe sie keine Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten, so dass er zu verurteilen sei.
Sie beantragte daher, ihn wegen der schweren räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe am unteren Rand, also in Höhe von 5 Jahren und 6 Monaten, wegen der versuchten Freiheitsberaubung durch Einsperren der Geschädigten in die ebenerdig gelegene Küche zu 90 Tagessätzen und ihn folglich zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 7 Monaten zu verurteilen.

Rechtsanwalt Posner sah dies in seinem Plädoyer naturgemäß völlig anders, erbat jedoch zunächst noch eine allseitige Protokollerklärung –insbesondere von Seiten der Staatsanwaltschaft-, um einen von ihm für möglich erachteten Revisionsgrund zur Frage der Öffentlichkeit des Verfahrens, ausschließen zu können. Die Protokollerklärungen wurden aufgenommen, wonach Rechtsanwalt Posner mit seinem Plädoyer beginnen konnte.
Er führte aus, dass schon vor Prozessbeginn die Indizienlage gegen den Angeklagten äußerst dürftig gewesen sei und sich im Laufe der Verhandlungen nicht etwa verbesserte, sondern noch mehr in sich zusammengebrochen sei.
Den ermittelnden Kriminalbeamten kritisierte er scharf. In einem Zwischenfazit warf er diesem vor, dass sich für ihn, RA Posner, diese Art der Ermittlungsarbeit entweder als

– hoffnungslose Arbeitsüberlastung,
– schlechte Ausbildung,
– fehlendes Arbeitsinteresse oder
– Schwierigkeit bei der Bewältigung von Denkvorgängen

seitens des ermittelnden Kriminalhauptkommissars darstelle.

Er führte sodann zu jedem herangezogenen Indiz die dagegen sprechenden Punkte aus.
Nachdem das einzig „harte Indiz“ der Anruf nebst Geodatenlokalisation vom Handy des Angeklagten sei, sei es dem Ermittler offenbar entgangen, eine Beziehung zu den von ihm ermittelten Autoteilefirmen herzustellen. Sonst hätte er wahrgenommen, dass sich das Handy zur Zeit des Anrufes unmittelbar neben einer Autoteilefirma in einem Seitenweg befand. Ergänzend verwies er dazu auf eine, dem Gericht bereits übergebene, Luftbildaufnahme mit eingezeichneten Lokalisationspunkten von Handystandort und Autoteile-Händler.

Den -aus Sicht von Posner- wohl naheliegendsten Ermittlungsansatz hatte man erst gar nicht verfolgt.
So schrieb der Beamte in seiner Tatortbeschreibung, dass sich das Haus der Geschädigten in einem offenbar recht neuen Wohngebiet befinde, in dem einige Häuser noch im Bau befindlich, andere erst gerade fertiggestellt seien. Trotz dieser Kenntnis und der Beschreibung der Täterschuhe als halbhohe, dreckige Arbeitsschuhe, nahm er diesen Ermittlungsansatz nicht auf und tat dies in der Hauptverhandlung damit ab, er habe am Tag des Überfalls keine Bauarbeiter umliegend wahrgenommen. Auch später habe er dort keine Ermittlungen geführt.

Sodann wandte sich Rechtsanwalt Posner dem Plädoyer der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft zu und nahm auch hierzu in sehr deutlicher Weise Stellung, was an dieser Stelle nicht wiederholt werden muss. Er endete dazu mit den Worten, dass jemand, der Paragraphen kennt, noch lange keine guter Jurist sein müsse und beantragte,

den Angeklagten freizusprechen.

Nachdem anschließend der zweite Verteidiger des Angeklagten in seinem Plädoyer einige Ergänzungen vorgenommen hatte und mit demselben Ergebnis endete, wie sein Vorredner, zog sich die Kammer für ca. 30 Minuten zur Beratung zurück.

Um 16:40 Uhr erging dann folgendes

Urteil im Namen des Volkes:

  1. Der Angeklagte wird freigesprochen.
  2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens sowie die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.
  3. Es wird festgestellt, dass die Staatskasse dem Grunde nach verpflichtet ist, den Angeklagten für durch die Durchsuchungen etwa entstandenen Schäden zu entschädigen.

Die Kammer begann ihre Begründung mit dem Grundgedanken des Deutschen Strafprozessrechts: „Lieber ein Schuldiger auf freiem Fuß, als ein Unschuldiger verurteilt.“
Sie gab der Verteidigung Recht, dass die Ermittlungen „wohl nicht optimal“ verlaufen seien und die ohnehin schwache Indizienlage, die schon beim Beschluss zur Eröffnung des Verfahrens Sorge bereitet habe, im Verlauf der Hauptverhandlung nochmals deutlich schlechter geworden sei.
Das Telefonat allein lasse schon zu viele Deutungsmöglichkeiten zu, als dass man darauf eine Verurteilung stützen könne. Zudem hinterließ die Geschädigte auch bei der Kammer den Eindruck, „äußerst taff“ zu sein, so dass ihre Äußerung zur falschen Körperlänge des Angeklagten von erheblichem Gewicht sei. Zusammengefasst war der Angeklagte freizusprechen.

Die Staatsanwaltschaft hat nunmehr eine Woche (bis zum 24.04.2013, 24 Uhr) Zeit, sich Gedanken dazu zu machen, ob sie Revision zum Bundesgerichtshof einlegen will.

Nachtrag: Das Urteil wurde durch die StA nicht angegriffen und ist nunmehr rechtskräftig!

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