Kindesmisshandlung – Plädoyers gehalten; Urteil am 24.01.11

Plauen/Zwickau, 17.01.2011:

Vor dem Schwurgericht des Landgerichts Zwickau wurde heute die Beweisaufnahme geschlossen und die Plädoyers gehalten.

Zunächst hatte die Kammer einen Beweisantrag des Verteidigers Posner vom 07.01.2011 abgelehnt und die Beweistatsachen überwiegend als wahr unterstellt, wodurch eine Zeugeneinvernahme der durch den Verteidiger benannten Zeuginnen aus Gangelt verhindert wurde.

Die Wahrunterstellung bewirkt nun, dass die Kammer unter anderem als wahr voraussetzen muss, dass der von Rechtsanwalt Posner verteidigte Angeklagte

  • bezüglich seines Patenkindes in Gangelt Erziehungsaufgaben wahrnahm, mit diesem ausgiebig spielte, ihn niemals schlug und sich nie aggressiv gegen das Kind zeigte;
  • mit den drei Kindern der Schwester seiner langjährigen Freundin in Gangelt stets in liebevoller Weise umging und
  • seine Halbschwester ihn stets als lieb und freundlich erlebte und ihm jederzeit ihre Kinder anvertrauen würde.

Zwar hielt die Kammer diese Tatsachen für die Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Angeklagten von Bedeutung, allerdings nicht die hierzu vorzunehmende Vernehmung der Zeuginnen, sondern ersetzte dies durch die Wahrunterstellungen, an die es nun auch im Urteil gebunden ist.

Einen weiteren Antrag des Verteidigers auf Einholung eines weiteren psychiartrischen Sachverständigengutachtens wegen eines behaupteten bleibenden Schadens des Angeklagten durch Hirnkrämpfe lehnte die Kammer ebenfalls ab, da der schon gehörte Sachverständige eine forensich relevante Schädigung des Gehirns des Angeklagten bereits negiert hatte.

Sodann hielt der Oberstaatsanwalt sein Plädoyer:

Er sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte den aktiven Part innerhalb der Beziehung übernommen hatte und die Angeklagte Mutter nicht etwa nur aus vorgegebener Angststarre nicht eingeschritten sei, sondern viel mehr, als sie es zugegeben habe, auch aus Verlustangst handelte und alles tat, um die Beziehung aufrecht zu erhalten. Er habe allerdings dadurch schalten und walten können, wie es ihm gepasst habe.

Zugleich hielt er dem Angeklagten zugute, dass er nicht etwa von Beginn an eine feindliche Einstellung zum Kind einnahm, aber als durch den schlagartigen Wegfall sämtlicher Hilfsangebote Probleme auftraten, habe eine Lösungsstrategie hergemusst. Hier sei dann aufgrund eigenen Erlebens in seiner Kindheit die Anwendung von Gewalt physischer, aber auch psychischer, Art als Lösung gewählt worden, die sich im Laufe der Zeit gesteigert habe.

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft zeigte sich überzeugt, dass die Gewalt vom Angeklagten ausging, aber die mitangeklagte Mutter es mitbekam und genug Möglichkeiten gehabt habe, Hilfe zu suchen. Sie habe daher in vorwerfbarer Weise durch Unterlassen gehandelt. Das Schützen des eigenen Kindes sei fraglos nicht an das Vorhandensein einer bestimmten Mindestintelligenz gebunden, sondern stelle einen Urtrieb dar.

Den ursprünglich mit der Anklage erhobenen Vorwurf des Mordes ließ der Oberstaatsanwalt fallen, da es hierzu am Vorsatz zur Verwirklichung eines Mordmerkmales fehle. Zudem spreche auch seine Initiative zur Rettung des Kindes und selbst vorgenommene Reanimation gegen diese rechtliche Einordnung.

Jedoch sei für den Angeklagten ein bedingter Tötungsvorsatz (billigend in Kauf genommen) anzunehmen, so dass dieser wegen Totschlages in Tateinheit mit Misshandlung Schutzbefohlener gehandelt habe. Aus dem hierfür anzuwendenden Strafrahmen von fünf bis 15 Jahren beantragte er, den Angeklagten Freund der Kindesmutter zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren zu verurteilen.

Anders liege der Fall bei der Kindesmutter selbst. Diese habe es zwar unterlassen, gegen die fortgesetzten Körperverletzungen ihres Freundes an ihrem Sohn vorzugehen und habe diese auch wahrgenommen, jedoch habe sie nicht gewusst, was der Freund in der finalen Handlung mit dem Kind mache, da sie sich nicht im Kinderzimmer aufgehalten habe. Daher sei ihr der durch den Angeklagten ausgeübte Totschlag nicht zuzurechnen, so dass sie lediglich wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen zu verurteilen sei.

Aufgrund des verbliebenen Vorwurfes, in der Tatform des Unterlassens gehandelt zu haben und des Gutachtens des psychiartrischen Sachverständigen, der ihr eine verminderte Schuldfähigkeit bescheinigt habe, sei der bei ihr anzusetzende Strafrahmen (drei bis 15 Jahre) doppelt zu mindern, so dass ein Strafrahmen von Geldstrafe bis Freiheitsstrafe von acht Jahren und 7 Monaten zur Verfügung stünde.

Hieraus beantragte er, die angeklagte Kindesmutter zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten zu verurteilen.

Nach einer Unterbrechung von fast zwei Stunden erteilte die Kammer für beide Angeklagte den Hinweis, dass hinsichtlich des Vorwurfes von Schutzbefohlenen nicht nur der angeklagte Tatzeitraum vom 11. – 13.07.2010 in Betracht komme, sondern ein Zeitraum von zumindest schon 14 Tagen vor dem angeklagten Tatzeitraum.

 

Anschließend hielt Rechtsanwalt André Steuler als Verteidiger der Kindesmutter sein Plädoyer:

Er nahm in weiten Teilen Bezug auf das Plädoyer des Staatsanwaltes, untermauerte dies noch mit Einzelheiten aus den Vernehmungen und verlesenen Aussagen einer Ärztin.

Er führte aus, seine Mandantin habe die "Verbote" des Freundes als eigenes Regelwerk übernommen und angenommen, was er ihr gesagt habe. Zum Zeitpunkt des Schüttelns, das zum Tode führte, sei sie nicht im Zimmer gewesen und habe dies nicht mitbekommen.

Daher schloß er sich der beantragten rechtlichen Würdigung der Staatsanwaltschaft an und beantragte, das von dieser Seite genannte Strafmaß als Obergrenze aufzunehmen.

 

Rechtsanwalt Herbert Posner begann sein Plädoyer zunächst mit einem Dank an Staatsanwalt und Verteidiger der Kindesmutter, dass diese natürlich entsprechend ihrer Verfahrensrolle, aber stets fair verhandelt hätten.

Hinsichtlich der Kammer allerdings brachte er zum Ausdruck, dass seinem Mandanten ein faires Verfahren verwehrt worden sei. Er habe sogar zwischenzeitlich überlegt, sein Plädoyer zu verweigern, da er nicht davon ausgehe, dass die Kammer es ernsthaft hören werde. Sie habe im Laufe des Verfahrens elf Zeugen hinsichtlich der Vorlebens und der Entwicklung der Kindesmutter gehört, jedoch nicht einen Zeugen für seinen Mandanten; im Gegenteil, sie habe sogar jeden darauf gerichteten Antrag abgelehnt. Die Arbeit mit Wahrunterstellungen könne einen persönlichen Eindruck im Gerichtssaal keinesfalls ersetzen.

Dieser Eindruck sei bereits aufgrund der einseitigen Ladungsliste aufgekommen, jedoch habe er zu dieser Zeit noch (irrig) angenommen, die Kammer werde sich dem Thema zumindest auf Antrag zuwenden.

Sinngemäß hielt er es für unmöglich, dass die Kammer den gesetzlichen Auftrag, ihrem Urteil die Tat und die Täterpersönlichkeit zugrunde zu legen, nachkommen könne.

Zum Tatverlauf wich er von den beiden vorangegangenen Plädoyers ab, indem er versuchte, anhand der Aussagen der Kindesmutter in der Verhandlung, aber auch schon bei der Ermittlungsrichterin, aufzuzeigen, dass diese zwar minderintelligent, jedoch durchaus in der Lage sei, auf einfache Art zu lügen. Ein einfaches Bestreiten eigener Handlungen und Zuschreiben selbiger auf den Freund sei ihr jederzeit möglich, wie auch der psychiartrische Sachverständige auf Frage bestätigt habe. Entgegen der Aussage des Angeklagten und den Ausführungen der rechtsmedizinischen Sachverständigen, die beide von länger andauernden Misshandlungen sprachen, der Angeklagte von zumindest zwei Wochen, hatte die angeklagte Mutter stets lediglich von drei Tagen berichtet. Ein deutliches Zeichen, sich selbst durch eine Lüge zu schützen.

Gerade das Argument des Verteidigers der Kindesmutter, sie habe die "Verbote" des Freundes als eigenes Regelwerk übernommen und angenommen, was er ihr gesagt habe, lasse darauf schließen, dass sie selbst Hand anlegte. Zudem habe sie selbst geschildert, wie bestürzt der Angeklagte reagiert habe, als er erstmals den blau geschlagenen Po des Kindes gesehen habe. Insofern sei der Angeklagte zwar der aktivere und bestimmende Teil der Beziehung gewesen, nach Auffassung Posners jedoch keinesfalls Alleintäter im Sinne des Handelns.

Sodann nahm er Bezug auf das Plädoyer des Staatsanwaltes hinsichtlich des Wegfalls des Mord-Vorwurfes, lehnte jedoch zudem den Vorwurf des Totschlages ab, da das voluntative Element des Vorsatzes nicht gegeben sei, nachdem sein Mandant gerade durch die Initiative zur Rettung des Kindes gezeigt habe, dass er den Todeseintritt keinesfalls gewollt habe. Folge man dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft, müsse man zudem die Fragestellung des strafbefreienden Rücktritts vom unbeendeten Versuch beachten.

Es bleibe, so Posner, bei einer Verurteilung des Angeklagten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen mit einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe, deren konkrete Höhe er in das Ermessen des Gerichtes stellte.

 

Das Gericht vertagte sich anschließend und setzte Termin für die Urteilsverkündung auf Montag, den 24.01.2011, 14 Uhr, an.

 

Anmerkung: Erfreulich, dass nunmehr scheinbar nicht mehr von Mord ausgegangen wird. Dies hatte Rechtsanwalt Posner bereits mit derselben Begründung in der Vernehmung seines Mandanten vor der Ermittlungsrichterin am 15.07.2010 dargelegt.

Video des MDR-Sachsenspiegel zum heutigen Prozesstag: http://www.mdr.de/mediathek/8117852.html

Audiobericht von MDR-Info: http://www.mdr.de/mediathek/8117376.html

Dieser Beitrag wurde unter Strafrecht veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.